Dumpstern: Ist das Herausnehmen von Lebensmitteln aus Müllcontainern in Österreich strafbar?

Einleitung

Dumpstern (auch Mülltauchen oder Containern genannt) bezeichnet die Mitnahme weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern. Es handelt sich hierbei um einen – vor allem in Großstädten – wachsenden Trend und soll am Kapitalismus und der daraus resultierenden „Wegwerfgesellschaft“ Kritik üben. Insbesondere große Supermarktketten werfen täglich mehrere Tonnen Lebensmittel in den Müll. Diese sind zwar aufgrund von Druckstellen oder eines abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr verkäuflich, jedoch immer noch genießbar. Viele, die regelmäßig „Mülltauchen“ gehen, sehen darin kein rechtliches Problem, da sie sich nicht als „Diebe“ fühlen. Immerhin nehmen sie nur Müll mit, den sowieso keiner mehr haben, geschweige denn konsumieren möchte. Andere sehen im Dumpstern zumindest eine rechtliche „Grauzone“. Der Frage, ob das Dumpstern nun gerichtlich strafbar ist oder nicht, versucht dieser Blogbeitrag nachzugehen, wobei schon vorweg festgehalten werden kann, dass dies nicht einfach mit einem Ja oder Nein beantwortet werden kann.

 

Diebstahl (§ 127 StGB)

Im Zusammenhang mit Dumpstern ist vor allem der Straftatbestand des Diebstahls (§ 127 StGB) die zentrale Bestimmung, die für solche Fälle relevant sein könnte. § 127 StGB lautet wie folgt: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen mit dem Vorsatz wegnimmt, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“

 

Nur wenn alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, kann der Täter auch bestraft werden. Damit etwas überhaupt diebstahlstauglich ist, muss es sich um eine Sache handeln, die zum einen fremd, sprich, nicht im Eigentum des Täters steht und zum anderen beweglich ist. Die Tathandlung des Diebstahls ist das Wegnehmen (Gewahrsamsbruch) der fremden, beweglichen Sache. Weiters muss der Täter auf eben jene beschriebenen (objektiven) Tatbestandselemente einen bedingten Vorsatz haben. Der Täter hält die Verwirklichung des Tatbildes zumindest ernstlich für möglich und findet sich damit ab (§ 5 Abs 1 StGB). Der Vorsatz muss sich dabei auf jedes Tatbildmerkmal beziehen. Überdies muss der Täter in Bereicherungsvorsatz handeln. Wenn sich der Täter durch das Wegnehmen einer fremden, beweglichen Sache nicht bereichern will, da er diese zum Beispiel nur „ausborgt“, handelt er nicht in Bereicherungsvorsatz und ist folglich auch nicht nach § 127 StGB zu bestrafen. Um sich jedoch bereichern zu können muss die Sache auch einen Vermögenswert haben.

 

Im Zusammenhang mit dem Dumpstern und der Beurteilung der Frage, ob das Entnehmen von Lebensmitteln aus einem Müllcontainer strafrechtlich als Diebstahl zu sehen ist, sind vor allem zwei Fragestellungen von zentraler Bedeutung:

1) Ist Müll eine fremde Sache?

2) Hat Müll einen Vermögenswert?

 

Dass Müll eine Sache ist und noch dazu als beweglich anzusehen ist, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Diskussion. Die Frage, ob Müll fremd im Sinne des Tatbestandes des Diebstahls ist und überhaupt einen Vermögenswert hat, der für die Bereicherungabsicht relevant ist, lässt sich hingegen nicht so einfach beantworten.

 

Ist Müll eine fremde Sache? 

Fremd ist eine Sache dann, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht. Das bedeutet, dass Sachen, die niemandem mehr gehören, auch nicht gestohlen werden können. Stellt jemand beispielsweise Sperrmüll an der Straße ab, dann ist dieser gewahrsamsfrei und damit auch herrenlos, weil der bisherige Eigentümer seinen Gewahrsamswillen mit dem Abstellen des Sperrmülls an der Straße nicht mehr weiter aufrechterhalten möchte. Dies hat zur Konsequenz, dass die Mitnahme grundsätzlich nicht strafbar wäre.

 

Mag es sich beim Mülltauchen zwar auf den ersten Blick um einen vergleichbaren Fall handeln, wie der zuvor beschriebene, da davon ausgegangen werden kann, dass Sachen, die in den Sammelcontainer geworfen werden, herrenlos sind, so ist dem bei näheren Betrachtung nicht so. Denn diese Sachen stehen ab Einwurf in den Sammelcontainer im Eigentum des Containerbetreibers und sind folglich nicht herrenlos. Dies ergibt sich vor allem aus den landesgesetzlichen Bestimmungen, wie zum Beispiel dem Wiener Abfallwirtschaftsgesetz (WrAWG). In § 9 WrAWG ist folgendes ausdrücklich geregelt: „Abfälle gehen mit dem ordnungsgemäßen Einbringen in die dafür vorgesehenen Sammelbehälter oder technischen Vorsammelsysteme im Rahmen der öffentlichen Müllabfuhr und der öffentlichen Altstoffsammlung in das Eigentum der Gemeinde Wien über.“ Daraus folgt, dass Müll in einem Sammelbehälter der Stadt Wien im Eigentum der Gemeinde steht und damit auch nicht fremd sein kann.

 

Supermärkte lassen sich oftmals von der Pflicht zur öffentlichen Müllabfuhr ausnehmen. Dies ist möglich, wenn eine andere, sachlich einwandfreie Sammlung nachgewiesen werden kann. Hierzu werden private Müllentsorgungsunternehmen beauftragt, mit denen wiederum der Supermarkt einen Vertrag abschließt. In diesen Verträgen wird in aller Regel auch der Eigentumsübergang vereinbart, wonach der Müll im dafür vorgesehen Sammelbehälter bis zum Zeitpunkt der Abholung durch das private Unternehmen im Eigentum des Supermarktes verbleibt, ab dem Zeitpunkt der Abholung jedoch auf das Unternehmen übergeht. Auch hier ist der Müll nicht herrenlos, sondern Eigentum des Supermarktes oder des Müllentsorgungsunternehmens.

 

In den meisten Fällen ist somit die Annahme, dass Müll in einem Sammelcontainer niemandem gehört und damit einer freien Entnahme nichts entgegenstehe, nicht richtig.

 

Hat Müll einen Vermögenswert?

Die strafrechtliche Beurteilung, ob die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Müllcontainer eines Supermarktes einen Diebstahl darstellt, hängt wie eingangs erläutert, nicht nur von der Fremdheit der Sache ab. Vielmehr müssen auch weitere Tatbestandsvoraussetzungen des Diebstahls erfüllt werden. Dass Müll eine Sache ist und überdies beweglich, wird in diesem Zusammenhang auf objektiver Ebene keiner bestreiten. Jedoch muss der Täter auf subjektiver Ebene auch in Bereicherungsabsicht handeln. Fremde bewegliche Sachen können nur gestohlen werden, wenn der Täter sich oder einen Dritten durch deren Zueignung bereichern kann. Sie müssen demnach einen wirtschaftlichen Vermögenswert (Tauschwert) haben. Doch was bedeutet das? Einer Sache kommt dann ein wirtschaftlicher Vermögenswert zu, wenn sie im Wirtschaftsverkehr zu Geld gemacht werden kann. Dies ist aber in abstrakter Weise zu sehen: Es kommt nicht darauf an, ob die Sache schwer oder einfach verkauft werden kann oder ob es für die Sache einen Marktpreis gibt, sondern nur ob der Wert einer Sache auf einen anderen übertragen werden kann. Einfacher ausgedrückt bedeutet das, es muss theoretisch jemanden geben, der dafür Geld ausgeben würde.

 

Ob Müll nun einen Tauschwert hat oder nicht ist schwer zu beantworten. Man könnte darauf abstellen, ob das Lebensmittel noch genießbar und das Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht überschritten ist und im Ergebnis qualitative Kriterien heranziehen. Hier könnte man – zumindest in abstrakter Weise – einen Tauschwert durchaus bejahen. Ist das Lebensmittel hingegen verschmutzt oder verdorben, so wäre nach dieser – auf die Qualität abstellende –Ansicht ein Tauschwert wohl ausgeschlossen. Doch auch dieser Ansicht könnte man entgegenhalten, dass auch vermeintlich wertlose Lebensmittel immer noch einen Heizwert für die Gemeinde Wien oder das Müllentsorgungsunternehmen darstellen, der durch die Entnahme geschmälert wird. Auch könnte man zusätzlich zu qualitativen auch quantitative Kriterien heranziehen und die Ansicht vertreten, dass Diebstahl erst dann erfüllt sein kann, wenn die entnommene Menge einen gewissen Schwellenwert erreicht.

 

Letztlich lassen sich viele Ansichten im Zusammenhang mit dem Vermögenswert von Müll vertreten, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt es – soweit ersichtlich – für diesen hier diskutierten spezifischen Fall nicht.

 

Ausblick

Schon alleine aus den oben beschriebenen Problemfeldern ergibt sich, dass eine Strafbarkeit des Dumpstern grundsätzlich nicht gänzlich ausgeschlossen ist. Würde man die Voraussetzungen des Diebstahls bejahen, wären weitere Straftatbestände durchaus denkbar. So könnte jemand, der mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel (zum Beispiel der WEZ 2000 Schlüssel) Müllräume aufsperrt oder das Schloss aufbricht, den Tatbestand des Einbruchdiebstahls verwirklich. Weiters wären auch die Straftatbestände des gewerbsmäßigen Diebstahls und der Hehlerei gegebenenfalls in diesem Zusammenhang näher zu prüfen.

 

Aus praktischer Sicht lässt sich jedoch festhalten, dass es zwar im Zusammenhang mit dem Dumpstern viele Anzeigen gibt, es jedoch bis heute – soweit ersichtlich – noch zu keiner Verurteilung in Österreich gekommen ist. Mit dem Dumpstern befindet man sich in einem Bereich der Bagatellkriminalität, wo schon ganz allgemein überhaupt fraglich ist, ob die Mitnahme von entsorgten Lebensmitteln überhaupt den Tatbestand des Diebstahls erfüllt. Aus diesen Gründen wird von der Staatsanwaltschaft meist wegen Mangels eines Anfangsverdachts das Ermittlungsverfahren gar nicht erst eröffnet. Möglich wäre auch bei Bejahung einer allfälligen Erfüllung eines Straftatbestandes eine diversionelle Erledigung oder sogar eine Einstellung wegen Geringfügigkeit. In beiden Fällen kommt es zu keiner strafrechtlichen Verurteilung. Durchaus denkbar wäre jedoch eine restriktivere Auslegung der Staatsanwaltschaft beim Straftatbestand des Diebstahls, wenn groß angelegte „Mülltauchaktionen“ geplant und durchgeführt werden und die Schwelle der Bagatellkriminalität überschritten wird.

 

Hingewiesen wird jedoch auf den Umstand, dass sich Supermärkte und Hauseigentümer gegen Mülltaucher zivilrechtlich vorgehen können. In aller Regel sind in diesem Zusammenhang die Voraussetzungen einer Besitzstörungsklage erfüllt.


Lesenswert zu diesem Thema ist der Artikel „Wir sind die größten Lebensmittelverschwender“ von Carina Pachner in der Zeitschrift NEWS, die sich mit dem Thema des Dumpstern ausführlich beschäftigt hat und der die Rechtsanwaltskanzlei Mag. Martin Nemec ein Interview geben durfte: https://www.news.at/a/lebensmittel-verschwendung-8294966

Auch dem Ö1 Konsumentenmagazin durfte Alexander Kern von der Rechtsanwaltskanzlei Mag. Martin Nemec ein Interview zum Thema Dumpstern geben und die rechtlichen Problemstellungen diskutieren. Der Beitrag ist hier nachzulesen: https://help.orf.at/stories/2997658/