Die Rechte des Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren

Täglich kann man aus den Medien die Begriffe Verdächtiger, Beschuldigter oder Angeklagter entnehmen. Aber was genau bedeuten diese Begriffe und welche Rechte hat man, wenn man selbst davon betroffen ist und strafrechtlich von den ermittelnden Behörden verfolgt wird. Diesbezüglich werden ein paar ausgewählte Beschuldigtenrechte beleuchtet.

Vorweg muss strikt zwischen Verdächtigen, Beschuldigten und Angeklagten unterschieden werden.

 

Verdächtiger

Verdächtig ist jede Person, gegen die aufgrund eines Anfangsverdachtes (§ 1 Abs 3 StPO) ermittelt wird. Der Anfangsverdacht ist Voraussetzung um ein Ermittlungsverfahren überhaupt einzuleiten. Ein Anfangsverdacht liegt dann vor, wenn aufgrund bestimmter (verifizierbarer) Anhaltspunkte seitens der ermittelnden Behörden angenommen werden kann, dass eine strafbare Handlung begangen worden ist; sohin müssen konkrete Tatsachen bzw. hinreichende Verdachtsgründe vorliegen, zu deren Aufklärung die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft ermitteln oder Zwang ausüben. Was hingegen nicht reicht sind vage Vermutungen oder Gerüchte.

Die Bezeichnung „Verdächtiger“ (§ 48 Abs 2 StPO) wurde unter anderem vom Gesetzgeber deshalb in die StPO aufgenommen, dass gegenüber der Öffentlichkeit klar gestellt werden kann, dass gegen den Betroffenen derzeit nur eine „vage Verdachtslage“ vorliegt und die geführten Ermittlungen noch weiterer Konkretisierungen bedürfen. Weiteres wird aufgrund der Normierung des Begriffs „Verdächtiger“ sichergestellt, dass diesem dieselben strafprozessualen Rechte wie dem Beschuldigten zukommen. Dieser Umstand führt dazu, dass die Gefahr der Umgehung der Beschuldigtenrechte dadurch weitgehend vermieden werden kann.

 

Beschuldigter

Beschuldigter ist jeder Verdächtige, der aufgrund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig erscheint eine Straftat begangen zu haben und zur Aufklärung dieses konkreten Verdachtes werden gemäß den §§ 109 bis 189 StPO Beweise aufgenommen bzw. Ermittlungsmaßnahmen angeordnet oder durchgeführt. Ermittlungsmaßnahmen können sowohl von der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht durchgeführt bzw. angeordnet werden. Im Zusammenhang mit den Ermittlungstätigkeiten differenziert das Gesetz strikt zwischen Vernehmen (§ 153 StPO) und Erkundigen (§ 152 StPO). Erst wenn die Person nach förmlichen Informationen über ihre Stellung und ihre Rechte im Verfahren befragt wird, ist als Vernehmung zu verstehen. Der Begriff Vernehmung setzt nämlich voraus, dass eine Person im Zuge einer Ermittlung zur bewussten Abgabe von sach- oder prozessrelevanten Informationen veranlasst wird. Durch bloße Erkundigung dürfen die Bestimmungen über die Vernehmung bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden. Vielmehr kommt den Erkundigungen eine die eigentliche Beweisaufnahme vorbereitende Funktion zu, wie zB konkrete Verdachtsmomente herauszuarbeiten, die als Arbeitshypothese Anlass für weitere Ermittlungen gegen eine konkrete Person als Beschuldigten dienen können. Dass die Trennung in der Praxis zwischen Erkundigung und Vernehmung sehr schwer ist, liegt auf der Hand und verhindert nicht, dass spontane Äußerungen einer Person nicht verwertet werden dürfen. Macht sich die befragte Person dadurch selbst zum Verdächtigen, muss sie sogleich als Beschuldigte behandelt und als solche  unter Wahrung der gesetzlichen Vorschriften förmlich vernommen werden.

 

Angeklagter

Wird gegen einen Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft Anklage (oder Strafantrag) erhoben, spricht man vom Angeklagten (§ 48 Abs 1 Z 3 StPO).

 

Die Rechte des Beschuldigten

Dem Beschuldigten sind bereits im Stadium der kriminalpolizeilichen Ermittlungen umfassende Möglichkeiten eingeräumt, seine (Verteidigungs-)Interessen zu wahren. Die Stellung als Beschuldigter ergibt sich, wie bereits erwähnt, aus dem Gesetz, sobald die Voraussetzungen gegeben sind. Entscheidend ist, ob objektiv erkennbar ist, dass sich bestimmte Ermittlungshandlungen gegen eine konkrete Person als möglichen Täter richten. Liegen diese Umstände vor, stehen dem Betroffenen (wie auch dem Verdächtigen) sämtliche Beschuldigtenrechte gemäß § 49 StPO zu.

Dem § 49 StPO sind folgende (demonstrativ aufgezählten) Rechte des Beschuldigten zu entnehmen:

Der Beschuldigte hat insbesondere das Recht,

  1. vom Gegenstand des gegen ihn bestehenden Verdachts sowie über seine wesentlichen Rechte im Verfahren informiert zu werden (§ 50),
  2. einen Verteidiger zu wählen (§ 58) und einen Verfahrenshilfeverteidiger zu erhalten (§§ 61 und 62),
  3. Akteneinsicht zu nehmen (§§ 51 bis 53),
  4. sich zum Vorwurf zu äußern oder nicht auszusagen sowie nach Maßgabe der §§ 58, 59 und 164 Abs. 1 mit einem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und sich mit ihm zu besprechen,
  5. Gemäß § 164 Abs 2 einen Verteidiger seiner Vernehmung beizuziehen,
  6. die Aufnahme von Beweisen zu beantragen (§ 55),
  7. Einspruch wegen der Verletzung eines subjektiven Rechts zu erheben (§ 106),
  8. Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung von Zwangsmitteln zu erheben (§ 87),
  9. die Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu beantragen (§ 108),
  10. an der Hauptverhandlung, an einer kontradiktorischen Vernehmung von Zeugen und Mitbeschuldigten (§ 165 Abs 2) und an einer Tatrekonstruktion (§ 150) teilzunehmen,
  11. Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu erheben,
  12. Übersetzungshilfe zu erhalten (§ 56).

 

Rechtsbelehrung

§ 50 bezieht sich ausschließlich auf das Ermittlungsverfahren. § 50 bezweckt, dass der Beschuldigte sobald wie möglich über seine verfahrensrechtliche Stellung und seine daraus abzuleitenden wesentlichen Rechte informiert wird und dass, unter Achtung seiner Grundrechte (§ 6 Abs 2 StPO iVm Art 6 EMRK), Umgehungsstrategien der ermittelnden Behörden verhindert werden. Auf einen genauen Zeitpunkt lässt sich der Gesetzgeber nicht ein, jedoch ergibt sich aus der Judikatur und ständigen Rechtsprechung, dass jedenfalls vor der Ausübung von Zwang oder unmittelbar danach bzw. vor der Vernehmung des Beschuldigten dieser über den gegen ihn bestehenden Tatverdacht, seine Rechte und über sämtliche Verdachtsgründe aufzuklären ist. Dem Beschuldigten ist im Zusammenhang mit der Vernehmung die Möglichkeit gegeben eine – mit den Verdachtsmomenten zusammenhängende – (entlastende) Erklärung abzugeben, was wiederum voraussetzt, dass ihm sämtliche Tatvorwürfe bekannt sein müssen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass der Beschuldigte das Recht hat, seine Aussage zu verweigern und die Beiziehung eines Verteidigers vornehmen kann. Der Beschuldigte ist durch die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft zu belehren, d.h. jene(s) Behörde/Organ, die/das jene Ermittlungshandlung setzt bzw. angeordnet hat. Wird dem Beschuldigten die Rechtsbelehrung im Zuge seiner Einvernahme nicht erteilt, ist die Befragung lediglich als Erkundigung zu werten. Die unterlassene, falsche oder verspätete Rechtsbelehrung kann zunächst mittels Einspruch gemäß § 106 StPO bekämpft werden; sie kann aber auch zur Nichtigkeit des Ermittlungsaktes führen. Diesbezüglich ist aber darauf Bedacht zu nehmen, dass eine Belehrung durch die Ermittlungsbehörde in Ausnahmefällen unterbleiben darf, nämlich dann, wenn ansonsten der Zweck der Ermittlungen gefährdet werden könnte (z.B. bei Telefonüberwachung). Jedoch besteht daran kein Zweifel, dass der Beschuldigte spätestens vor seiner Einvernahme zu belehren ist.

 

Der Verteidiger und das Äußerungsrecht

Dem Gesetz ist zu entnehmen, dass der Beschuldigte das Recht hat, sich selbst zu verteidigen (es sei denn, es besteht notwendige Verteidigung) und sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers zu bedienen. Dies bedeutet, der Beschuldigte hat das Recht Kontakt mit seinem Verteidiger aufzunehmen, ihn zu bevollmächtigen und sich mit ihm zu besprechen. Der Beschuldigte darf zu seiner Einvernahme den Verteidiger beiziehen, um seine Verteidigungsinteressen zu wahren. Jedoch darf sich der Verteidiger nicht aktiv bei der Einvernahme beteiligen, zumal es sich um die Befragung des Beschuldigten und nicht des Verteidigers handelt. Ungeachtet dessen, ist es dem Verteidiger jedoch gestattet nach der Befragung durch die Ermittlungsbehörde ergänzende Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Wenn der Beschuldigte nicht weiß wie er sich verantworten soll, steht ihm
– wie bereits erwähnt – das Recht die Aussage zu verweigern zu. Die Anwesenheit eines Anwaltes kann jedoch auch versagt werden, wenn den ermittelnden Behörden Tatsachen vorliegen, dass durch die Beiziehung eines Verteidigers die Ermittlungen beeinträchtigt werden können. Diese Bestimmung ist äußerst bedenklich und kann wohl nur Anwendung finden, wenn ein Verteidiger versucht gesetzwidrig die Vernehmung zu beeinträchtigen. Jedoch besteht die Möglichkeit einer Videoeinvernahme, um im Nachhinein die Gesetzmäßigkeit der Einvernahme zu belegen. Dem Verteidiger kommt eine wichtige Rolle im Ermittlungsverfahren zu, zumal er einerseits den Beschuldigten von übereilten Aussagen abhält und andererseits die Verteidigungsstrategie für das gesamte Strafverfahren festlegt. Grundsätzlich steht dem Beschuldigten die Wahl seines Verteidigers frei (Wahlverteidiger), jedoch verlangt das Gesetz in bestimmten Fällen (§ 61 Abs 1 StPO), dass der Beschuldigte einen Verteidiger beizieht (notwendige Verteidigung). Dies zB in Verfahren wo sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, oder bei Hauptverhandlungen, welche in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichtes fallen oder bei Verbrechen (wenn für eine Tat mehr als eine dreijährige Freiheitsstrafe angedroht ist). Weiters besteht die Möglichkeit (falls die finanziellen Mitteln fehlen) einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu stellen. Hierzu ist anzumerken, dass im Strafverfahren kein Kostenersatzanspruch besteht (auch bei Freispruch nicht). Lediglich ein Pauschalkostenbeitrag für Verteidigerkosten (Wahlverteidiger) kann – bei Freispruch – beantragt werden, welcher mit Höchstgrenzen gedeckelt (je nach Gerichtszuständigkeit) erstattet werden. Die Höhe des Pauschalbetrages liegt im Ermessen des Gerichts. Am Rande sei noch erwähnt, dass zur Wahrung der notwendigen Verteidigung dem Beschuldigten seitens des Gerichts ein Amtsverteidiger zur Seite gestellt wird, wenn der Beschuldigte trotz gerichtlicher Aufforderung einen Verteidiger zu konsultieren, dieser nicht nachkommt. Die Kosten des Amtsverteidigers hat der Beschuldigte selbst zu tragen.

 

Akteneinsicht und Beweisanträge

Dem Beschuldigten bzw dessen Verteidiger ist eine zielführende Verteidigung nur dann garantiert, wenn sie sich im Detail darüber informieren können, was dem Beschuldigten vorgeworfen wird bzw. wie diese Vorwürfe begründet sind. Der Beschuldigte ist im Zuge seiner (Erst-)Anhörung über seine wesentlichen Rechte zu informieren, so auch über die ihm zustehende Akteneinsicht. Auf Antrag (schriftlich oder mündlich) ist dem Beschuldigten sowohl bei der Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft als auch bei Gericht jederzeit Akteneinsicht zu gewähren. Der Beschuldigte ist auch berechtigt Beweisgegenstände zu sichten. Die Akteneinsicht kann jedoch bis zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens eingeschränkt werden (z.B. Herausnahme bestimmter Aktenbestandteile), wenn die Gefahr besteht, dass das Ermittlungsverfahren bzw. deren Zweck gefährdet wird, sollte der Beschuldigte sofortige Kenntnisnahme der Aktenstücke haben. Der Beschuldigte kann auf verlangen (und Entrichtung einer Gebühr) Aktenkopien verlangen. Wer nicht bereit ist € 0.60 pro kopierte Seite zu zahlen, kann auch Fotos mit einer Kamera (oder Smartphone) herstellen. Teileweise wird vom Gericht der elektronische Akt (auf CD-ROM) zur Verfügung gestellt, welcher ebenfalls billiger als die klassischen Kopien ist. Auch Ton- und Bildaufnahmen können in Kopie verlangt werden. Die Kopien des Aktes können persönlich abgeholt, per Post oder auf elektronischen Weg übermittelt werden. Gegen verwehrte oder beschränkte Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren kann Einspruch gemäß
§ 106 StPO erhoben werden. Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht folge gibt, ist dieser dem Gericht vorzulegen. Gegen den Beschluss des Gerichts ist Beschwerde gemäß § 87 StPO zulässig. Gibt das Gericht dem Einspruch – entgegen der Staatsanwaltschaft – statt, hat es zu bestimmen in welchem Umfang Akteneinsicht zu gewähren ist.

Dem Beschuldigten steht es zu, im Ermittlungsverfahren Beweisanträge zu stellen, Beweisgegenstände (zB Urkunde, Tatwaffe, etc…) vorzulegen und Zeugen oder Sachverständige zu beantragen, um seine Verteidigungsrechte umfassend zu wahren. Gemäß § 55 StPO ist es dem Beschuldigten erlaubt, bis zum Ende des Beweisverfahrens Anträge zu stellen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass das Beweisthema genau definiert wird, damit das Gericht erkennen kann, ob und welche (rechtliche) Relevanz das Beweismittel für das Strafverfahren tatsächlich hat. Ein bloßer Erkundungsbeweis wäre zu wenig konkret. Wenn der Beschuldigte unvertreten ist, muss dieser von der ermittelnden Behörde bzw. vom Gericht angeleitet werden. Trotz des Grundsatzes der amtswegigen objektiven Wahrheitserforschung (Behörde muss alle entlastenden und belastenden Umstände aufnehmen), ist der Beschuldigte gut beraten, sämtliche ihn entlastenden Beweise vorzulegen sowie alle – ihm zum Vorteil gereichenden – Umstände bei der polizeilichen Einvernahme vorzubringen. Bei Ablehnung des Beweisantrages steht dem Verdächtigen/Beschuldigten/Angeklagten je nach Verfahrensstadium entweder das Recht einen Einspruch zu erheben (§ 106 StPO) oder (im Rechtsmittelverfahren) den Nichtigkeitsgrund gemäß der Z 4 (od. Z 5)  (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO bzw § 345 Abs 1 Z 5 StPO und § 489 Abs 1 StPO) zu monieren, zu.

 

Einspruch § 106 StPO und Beschwerde § 87 StPO und Rechtsmittel

Dem Beschuldigten steht ein Einspruchsrecht im Ermittlungsverfahren zu, wenn er der Meinung ist, durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht (zB Verweigerung der Akteneinsicht) verletzt worden zu sein. Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht entspricht, hat der zuständige Richter zu entscheiden. Zu beachten ist, dass der Einspruch binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Rechtsverletzung  bei der Staatsanwaltschaft einzubringen ist.

Das Beschwerderecht steht dem Beschuldigten dann zu, wenn diesem wegen eines gerichtlichen Beschlusses unmittelbare Rechte verweigert werden. Auch der Staatsanwaltschaft (zB die Säumnisbeschwerde, weil das Gericht im Ermittlungsverfahren einen Antrag gar nicht behandelt) steht ein Beschwerderecht zu. Achtung, bei der Beschwerde gilt eine zweiwöchige Frist zur Einbringung ab Bekanntgabe oder Kenntnis der Nichterledigung oder Verletzung des subjektiven Rechts. Einzubringen ist die Beschwerde beim Gericht.